Saage Si au joo? – Jä. Ah, Si saage jä! – Joo.

Heute werden weltweit rund 6500 verschiedene Sprachen gezählt. Aktuell spricht etwa die Hälfte der Weltbevölkerung eine der 19 grössten Sprachen, die andere Hälfte verteilt sich dagegen auf über 6000 Sprachen. Dabei wurden die Dialekte noch nicht mitgezählt. Die Sprachen- und Dialektvielfalt ist zweifelsohne charakteristisch für die Menschheit und ein Ausdruck ihrer Kreativität.

Der Dialekt ist vor allem eine gesprochene Sprachform. Allerdings kann er als Sprache in literarischen Werken auf eine lange Tradition zurückblicken. Abgesehen von der Tatsache, dass der Adressatenkreis von Dialektliteratur zwangsläufig lokal beschränkt ist, darf nicht unterschätzt werden, dass der geschriebene Dialekt durch ungewohnte Schriftbilder hohe Anforderungen an die Leserschaft stellt.

Der Umgang mit Andersdialektalen, das heisst mit sprachlicher Variation, gehört in der Deutschschweiz zur kommunikativen Alltagskompetenz, die man bereits im Kindesalter erwirbt. Da es kein gemeinsames Schweizerdeutsch gibt, das zwischen den einzelnen Dialekten vermittelt, gilt in Kommunikationssituationen mit Sprechenden verschiedener Dialekte das «Jede/r-spricht-ihren/seinen-Dialekt»-Prinzip. Geringfügige Unterschiede in der Lautung vermögen niemanden zu verwirren, denn man hat gelernt, zuverlässige Entsprechungsregeln zu bilden (z. B. lässt sich aus Böim = Boum = Baum ‘Baum’ öi = ou = au erschliessen). Verständnisprobleme oder Missverständnisse scheinen erst dann zu entstehen, wenn sich die Unterschiede in den Lautungen so sehr häufen, dass gleichzeitig (zu) viele Entsprechungsregeln zu berücksichtigen sind. Und Verständnisprobleme entstehen auch immer dann, wenn in verschiedenen Regionen gänzlich andere Wörter verwendet werden (für «Gänseblümchen» z. B. Geissegiseli, Wasebüürschteli, Margriitli o. Ä.) oder wenn ein Wort zwar überall verwendet wird, aber mit einer jeweils anderen Bedeutung oder anderen Assoziationen. So ist brüele in gewissen Regionen das gängige Wort für «weinen», während andere darunter nur «laut schreien» verstehen. Ein Goof ist in der Ostschweiz eine neutrale Bezeichnung für «Kind» – anderswo dagegen hat das Wort eine abschätzige Bedeutungskomponente. Solche Unterschiede verlangen nach gegenseitigen Absprachen, nicht nur bei den Dialekten, sondern auch bei Fremdsprachen.

Wie schon erwähnt, ist der Wortschatz der beweglichste Teil einer Sprache. Wörter können jederzeit leicht aus der Umgebung übernommen werden, sodass sich der Wortschatz eines Menschen im Laufe des Lebens stark wandeln kann. Der Wortschatz ist derjenige Bereich, bei dem sich erhebliche Variationen zwischen den Sprecherinnen und Sprechern sowie zwischen den Regionen zeigen. Er ist nicht in gleicher Weise festgelegt wie etwa die Schreibung oder die Grammatik. So wird unweigerlich die sprachliche Heimat erkennbar. Vielfalt und Wandel im Wortschatz hängen auch damit zusammen, dass die sich verändernde Umwelt stets neue Bezeichnungen erfordert und der flüssigeren Kommunikation zuliebe auf sprachliche Auffälligkeiten verzichtet wird. Besonders bei Dialekten führt dieses Verhalten letztlich jedoch zu einem Verlust an eigentümlichen Wörtern.

 

Quelle: Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz. 7. Auflage.