Wechselbäder der Gefühle und «Riis» in Usbekistan
Marco Chiudinelli hat nach 18 Jahren Profitennis vor Kurzem seine Karriere in Basel beendet. Sein grösster sportlicher Erfolg ist der Gewinn des Tennis-Daviscups 2014 mit der Schweiz. Der Jugendfreund von Roger Federer hat oft im Schatten der Stars gespielt und dabei viel fürs Leben nach der Karriere gelernt.
Nach 18 Jahren hast du vor wenigen Tagen deinen Rücktritt vom Profitennis erklärt. Was wird dir in Zukunft fehlen?
MC: Das sind die Emotionen im Sport. Sie sind so wichtig. Glücksgefühle und Frust liegen auf dem Platz oft sehr nahe beieinander. Das sind Wechselbäder pur, und ich habe in diesem Punkt wirklich sehr viel erlebt. Fünf Matches pro Woche zu spielen, das kann richtig intensiv sein, da gehst du durch emotionale Höhen und Tiefen, die in einem normalen Bürojob wahrscheinlich etwas seltener sind.
Wie war der Abschied von der grossen Bühne, ausgerechnet zu Hause in Basel?
MC: Intensiv, Emotionen pur eben. Ich habe im letzten Match die komplette Welt der Gefühle durchlebt. Beim Betreten des Platzes sind mir sogar einige Tränen gekommen. Insgesamt konnte ich den Moment aber auch wirklich geniessen.
Anschliessend habe ich für meine Tenniskarriere von vielen Seiten sehr schöne Feedbacks und viel Anerkennung erhalten. Das ist natürlich eine gewisse Genugtuung, obwohl ich keine Weltkarriere hingelegt habe. Der Beitrag, den ich für den Schweizer Tennissport habe leisten dürfen, hat mir sehr viel bedeutet. Die Karriere in Basel zu beenden, war jedenfalls grossartig, und ich brauche wohl noch etwas Zeit, um das alles zu verarbeiten. Seit dem letzten Ballwechsel als Tennisprofi fühlt es sich eigentlich nicht nach einem Ende an, es ist noch so intensiv, was im Moment läuft.
Gab es eigentlich auch Interviews, in denen dich niemand nach Roger Federer gefragt hat?
MC: Zu Beginn meiner Karriere gab es die tatsächlich nur sehr selten. Vor etwa 13 Jahren, als sich der Erfolg auch bei mir langsam einzustellen begann, riet mir mein damaliger Coach dazu, Interviewanfragen zu Roger fortan abzulehnen. Ich nahm seinen Ratschlag an und bin damit sehr gut gefahren. Wenn ein kleiner Teil des Interviews, also maximal ein bis zwei Fragen, auf meine Beziehung zu Roger abzielt, dann ist dies auch nach wie vor in Ordnung für mich. Der Schwerpunkt eines Interviews muss allerdings auf meiner Geschichte liegen, ansonsten nehme ich Interviewanfragen nicht mehr an.
Wie wichtig war über die Jahre die Unterstützung deines Hauptsponsors Syntax?
MC: Sehr wichtig! Ich wurde ja wirklich über 13 Jahre lang von Syntax unterstützt. Dadurch konnte ich gut planen und befreit aufspielen. Ich musste nicht immer rechnen und z. B. jedes Interclub-Turnier spielen. 2004 hatte ich den ersten Kontakt mit Peter Kuratli. Durch ihn und Syntax habe ich viele interessante Menschen kennengelernt und es sind sogar Freundschaften entstanden. Wenn es gut läuft, sind viele Schulterklopfer da, aber in schlechten Phasen oder bei Verletzungen brauchst du richtige Freunde und Ratgeber, und da habe ich wirklich sehr viel Unterstützung erfahren. Richtige Freundschaft eben und nicht einfach nur Sponsoring-Unterstützung.
Du hast 58 Länder bereist. Wie wichtig sind Sprachen auf der Tour?
MC: Natürlich sehr wichtig. Ich bin ja auch häufig abseits der Top-Spots unterwegs gewesen und da warten nicht überall gut ausgebildete, professionelle Dolmetscher. In der usbekischen Provinz wollte ich zum Beispiel mal für meinen Doppelpartner und mich ein Reisgericht bestellen. Ich habe es in mehreren Sprachen versucht, mit Russisch, Englisch, Italienisch, Deutsch, aber wir kamen einfach nicht weiter. Das Reisgericht kam also nicht auf den Teller. Dann sind wir in die Küche gegangen und haben auf den Sack Reis gezeigt.
Und was haben die Leute dort gesagt? «Ach‚ Ihr wollt Riiis!» Riis, also genau wie im Baseldeutsch. Es war so lustig, und wir waren froh, als das Essen dann doch auf dem Tisch stand. Fein war’s übrigens auch noch.
In welcher Sprache denkst und träumst du?
MC: Das hängt immer davon ab, in welchem Land ich mich gerade befinde. Ich muss dann nicht zuerst lange nachdenken oder übersetzen. Wenn mal ein Wort fehlt, ist das auch nicht so schlimm. Deutsch ist meine Muttersprache, aber auch Englisch und Französisch spreche ich fliessend. Ich geniesse es meist sehr, wenn ich in einem englisch- oder französischsprachigen Land bin, denn nur durch den ständigen Gebrauch der Sprachen kann ich mein hohes Fremdsprachen-Niveau halten.
Italienisch spreche ich leider trotz meines Tessiner Ursprungs fast überhaupt nicht, obwohl ich früher häufiger die Grosseltern im Tessin besucht habe. Leider reicht es nur, um im Restaurant das Essen zu bestellen. Das sollte also noch besser werden. Sprachen haben mich früh begeistert. Mein Vater spielte früher in einer Rockband, da bekam ich von klein auf sehr viel Englisch zu hören. Das hat sicher auch geholfen.
Welche Sprache möchtest du gerne noch lernen?
MC: Italienisch wäre mir wirklich wichtig. Grundkenntnisse in Slowakisch wären auch schön, da meine Freundin aus der Slowakei stammt und ich schon oft dort war. Im Augenblick verstehe ich da allerdings nur Bahnhof.
Deine Karriere glich ja zuweilen einer Fahrt auf der Achterbahn. Was hast du in 18 Jahren Profitennis fürs Leben gelernt?
MC: Ja, das stimmt. Sportlich gesehen war’s oft eine Fahrt auf der Achterbahn. Gelernt habe ich daraus, wie man mit Rückschlägen umgeht und sich neu motiviert.
Ausserdem bin ich auf der Tour zu einem Organisationstalent geworden. Ich musste viel organisieren, planen, reisen, Flüge und Hotels buchen, mein eigenes kleines Unternehmen führen und das noch mehrsprachig. Ich habe gelernt, wie unterschiedlich die zwischenmenschliche Kommunikation in verschiedenen Ländern sein kann. Eine förmliche Begrüssung in Japan funktioniert zum Beispiel anders als in Belgrad oder bei uns. Ich habe durch die vielen Jahre auf der Tour ein sehr gutes Gespür dafür bekommen, wie man sich im Umgang miteinander verhält, vor allem dann, wenn man sich mal nicht so auskennt.
Von den kleinen Interclub-Turnieren bis zur grossen Bühne des Daviscups habe ich ja alles gespielt, da lernt man viele Menschen und sich selbst in den unterschiedlichsten Situationen kennen. Das bereichert und macht auf eine gewisse Art selbstbewusst und flexibel fürs Leben.