Geschichten sind universell,
nicht aber die Sprache
1965 in Langenthal geboren und in gutbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, bricht Pedro Lenz mit 16 Jahren das Gymnasium ab, fängt eine Maurerlehre an und arbeitet sieben Jahre lang auf dem Beruf. Dann holt er die Matura nach und studiert einige Semester Romanistik. Seit 2001 betätigt er sich höchst erfolgreich als Schriftsteller. Lenz zeichnet sich durch sein überaus feines Gespür für Sprache aus und weiss subtil mit Worten und Wendungen zu jonglieren. Seine einprägsamen Texte und Geschichten sind lebendiger Beweis für die Sprachakrobatik des derzeit wohl wichtigsten Schweizer Mundartautors. Sein bekanntestes Werk ist der 2010 erschienene Roman «Der Goalie bin ig», der auch verfilmt wurde.
Pedro Lenz, welche Sprache kommt raus, wenn man mit einem Thurgauer Vater und einer spanischen Mutter aufwächst?
PL: Ich habe in der Schule immer Mundart gesprochen. Bei mir hört man im Spanischen, dass ich kein Spanier bin. Es ist mir auch wichtig, Mundart zu schreiben. Freilich ist es mit ordentlich Aufwand und Mühe verbunden, im Dialekt zu schreiben und Passagen so zu formulieren, dass diese möglichst der Alltagssituation entsprechen und natürlich wirken. Wenn ich Hochdeutsch schreiben wollte, zum Beispiel um einen grösseren Markt anzusprechen, würde dies überhaupt nicht funktionieren. Diesen differenzierten Umgang mit der gesprochenen Sprache und den gewünschten Slang kann ich im Hochdeutschen schlichtweg nicht zum Ausdruck bringen.
Wird denn deine Mundart überhaupt überall in der Schweiz verstanden?
PL: Wenn ich für Lesungen und Buchpräsentationen nach Zürich fahre, ischmr mängisch nideso wou. Ich muss mich da bisweilen selbst übersetzen, wenn ich höflich bleiben möchte. Ein kleines Beispiel: Bekomme ich nach dem Buchsignieren ein Dankeschön eines Lesers und antworte darauf mit einem merci öich, wird dies in der Region Zürich kaum verstanden. So passe ich mich eben an und verwende ein merci ihne.
Apropos Lesungen: Deine Werke sind ja in verschiedene Sprachen übersetzt worden und es soll von den Übersetzungen daraus jeweils auch Lesungen geben. Wie funktioniert das? Wie kann der berndeutsche Singsang des Pedro Lenz übertragen werden?
PL: Die Lesungen werden oft gleich von den jeweiligen Übersetzern übernommen. Diese haben während des Übersetzungsprozesses ein innigeres Verhältnis zu mir aufgebaut und kennen mich somit auch als Person besser. So bringen sie vieles mit, was für eine stimmungsvolle Lesung dieser Textart wichtig und nötig ist. Übrigens mache ich nach einer aus meiner Sicht missglückten Veranstaltung die Lesungen in der französischsprachigen Schweiz nun selbst, auch wenn ich ein deutliches Français fédéral pflege.
Bleiben wir gleich bei den Übersetzungen. Da hast du ja auch deine persönlichen Erfahrungen gemacht.
PL: Während meines Germanistikstudiums arbeitete ich nebenbei für ein Übersetzungsunternehmen und übersetzte zuerst vor allem formelle Unterlagen wie Eheverträge und Ähnliches. Hier gewann ich u. a. Einblicke in die bürokratischen Abläufe südamerikanischer Länder. Anschliessend durfte ich mich mit anspruchsvolleren Texten aus dem medizinischen Bereich auseinandersetzen und vom Deutschen ins Spanische übersetzen, aber da hanimr Zähn usbisse u da bini de rächt iz schwitze cho.
Was verliert oder gewinnt der Originaltext deiner Bücher durch die Übersetzungen?
PL: Scheinbar sind die meisten Geschichten universell und werden über die verschiedenen Sprachen hinweg an Emotionen gekoppelt, die schliesslich die Wiedererkennung in verschiedenen Gesellschaften und Ländern ermöglichen. Eine Geschichte, die ich aus den Beobachtungen und Erlebnissen meiner Jugendzeit gemacht habe, kann sich genau gleich auch an anderen Orten dieser Welt zutragen. Natürlich sind gewisse Sprachbilder schwierig oder teilweise gar nicht zu übersetzen. Daher empfehle ich den Übersetzern meiner Bücher, sich dabei einfach die nötige Freiheit zu nehmen. Falls ein Sprachbild oder Wortspiel in ihrer Sprache nicht vorhanden oder unübersetzbar ist, sollen sie sich eben ein anderes ausdenken. Auch ich habe mich vom Spanischen inspirieren lassen und so zum Beispiel das Wortspiel Sech so einsam füehle wie dr Adam am Muetertag erfunden. Bei meinem neuen Roman musste sich der Deutschübersetzer ebenfalls etwas einfallen lassen, denn in Deutschland findet mit Wenn, wenn, wenn, wenn i nume wüsst, wo z‘Vogulisi wär … nun mal keine Assoziation statt. So beginnt er halt mit Hätte, hätte, Fahrradkette…
Viele Deutsche glauben allerdings, dass in der Schweiz alle Hochdeutsch sprechen und nur sehr abgelegene Orte noch Dialekt verwenden, um dann hier feststellen zu müssen, dass das Schweizerdeutsche für sie doch nicht so einfach verständlich ist.
PL: Das Missverständnis vieler Deutschen mit dem Schweizerdeutschen ist ein grundsätzliches. Sie glauben, bei uns sei die Verwendung des Dialekts, ähnlich wie bei ihnen, an soziale Schichten gebunden. Was sie dann feststellen müssen, ist, dass es sich beim Schweizerdeutschen nicht um einen Soziolekt einiger Ungebildeter handelt, sondern um die normale mündliche Umgangssprache, der sich alle sozialen Schichten bedienen.
Etwas Ähnliches beobachtete ich in Glasgow während eines halbjährigen Aufenthalts im Rahmen eines Literaturstipendiums. Wie in der Schweiz unterscheidet sich auch dort die Umgangssprache verhältnismässig stark von der Standardsprache und wie in der Schweiz handelt es sich nicht um einen Soziolekt, sondern um eine eigenständige Sprachvariante, die von allen Schichten verwendet wird.